Max von der Grün – Werkausgabe Band IX

Das Besondere an Max von der Grün ist, dass seine literarischen Texe Zeitdokumente und dennoch zeitlos sind. Seine pointierten Beschreibungen der Arbeitswelt und ihrer Unzulänglichkeiten haben ihn bekannt gemacht. Doch Max von der Grün hat zu einer Vielzahl anderer Themen gearbeitet. So erzählt er in diesem Band vom Krieg und von der Zeit danach. Von Mühsal, Elend und dem schwierigen Umgang mit den diktatorischen Machthabern. Er urteilt nicht, bezieht aber unmissverständlich Stellung. Er berichtet von seiner Fahrt zu einer KZGedenkstätte. Beschreibt Gedanken und Gefühle, bietet Identifikationsflächen. Seine lebendigen Reisereportagen zeugen zudem von einem weitsichtigen Blick über den Tellerrand. Sie sind unterhaltsam und spannend zugleich.
„Nichts als gegeben hinnehmen“, so lautete das Credo des 2005 verstorbenen Max von der Grün. Als kritischer Beobachter scheute er nicht davor zurück, Missstände zu benennen, auch wenn ihm das selbst schadete. Seine Werke sind Zeitzeugenberichte, die von ihrer Aktualität nichts eingebüßt haben. Max von der Grün war jemand, der mit offenen Augen durch die Welt ging. Und genau deshalb ist sein Reisetagebuch so anregend und spannend. Lesenswert!




Ein Bild von Eintracht und Verlorenheit, Cover Ein Bild von Eintracht und Verlorenheit
Erzählungen, (BAND IX)
Herausgegeben von Günther Butkus
Mit einem Nachwort von Klaus Antes
Hardcover mit Schutzumschlag
352 Seiten, Euro 22,90, 978-3-86532-143-5
Pendragon Verlag, 2011


Leseprobe:

Moll war mit seinem Wagen, Dortmunder Kennzeichen, von Gent, wo er übernachtet und am Vormittag die Stadt besichtigt hatte, über Knogge am Strand entlang nach Ostende gefahren, hatte vor dem Hotel Intercontinental geparkt, seine beiden Koffer in die Halle getragen und den Anmeldeschein am Tisch der Reception ausgefüllt. Als er danach den Wagen in einer nahe gelegenen Garage unterbringen wollte, sah er ein weißes Blatt von der Größe eines Schulheftes hinter dem rechten Scheibenwischer. Er glaubte schon, er habe falsch geparkt, dies sei eine polizeiliche Verwarnung, aber dann erschrak er. Geht nach Hause ihr deutschen Schweine! stand da. Der junge Mann sah die Straße hinauf, die in die Strandpromenade mündete, zwar konnte er das Meer nicht sehen, aber er hörte die Flut an die Mauern klatschen, sah die Straße hinab auf eine große Kreuzung und darüber hinaus auf den Bahnhof, der wie ein Schloss die weite Ebene versperrte. Ostende ist ein schönes Städtchen, dachte er, teuer, aber schön, trotzdem. Schade, nun der Zettel. Rowdys gibt es wohl überall, nicht nur in Dortmund, auch hier an der Nordsee, schade. Aber wie konnte in dieser kurzen Zeit, in der ich mein Gepäck hineintrug und den Schein ausfüllte, einer an meinen Wagen kommen und den Wisch hinter den Scheibenwischer klemmen? Der Wisch musste doch vorher sorgfältig ausgefüllt worden sein, es waren große und dicke Druckbuchstaben, die konnte man nicht vor dem Wagen schreiben, gewiss nicht in dieser kurzen Zeit.
Johannes Moll stand vor seinem VW und sah die Straße 151 hinauf und hinab, er sah Menschen die Bürgersteige hinaufgehen und hinab, sah Autos kommen und wegfahren, sah Frauen, die auf den ersten Blick als Engländerinnen zu er- kennen waren, und er stand und sah und hielt seinen Schein in der Hand, auf dem stand: Geht nach Hause ihr deutschen Schweine! [...]
(aus: „Ostende“)



Max von der Grün