Max von der Grün – Werkausgabe Band II

Jürgen Fohrmann arbeitet als Hauer unter Tage. Im Zuge der ersten Zechenkrise verliert er seine Arbeit. Zunächst wird er Hilfsarbeiter, erhält aber schon bald eine Anstellung in einem automatisierten Betrieb der Elektroindustrie. Zuerst ist der ehemalige Grubenarbeiter froh, dem dreckigen Kohlenstaub entronnen zu sein, feiert seinen vermeintlichen sozialen Aufstieg. Doch schnell merkt er, dass das Tragen eines weißen Kittels nur scheinbar besser ist als die beschwerliche Arbeit auf der Zeche. Denn auch hier fühlt er sich von Arbeitgebern und Betriebsräten verraten und oft genug auch für dumm verkauft.

Mit »Irrlicht und Feuer« gelang Max von der Grün endgültig der Durchbruch als Schriftsteller. Doch sein zweiter Roman bescherte ihm wütende Proteste von Arbeitgebern und harsche Kritik von Seiten der Gewerkschaft. Er wurde auf der Zeche entlassen und man versuchte Teile des Romans gerichtlich zu verbieten, allerdings ohne Erfolg.

Max von der Grüns Kritik an den Zuständen der modernen industrialisierten Leistungsgesellschaft hat auch heute nichts von seiner Relevanz eingebüßt.

Band II enthält zusätzlich die Texte »Bewegungsfreiheit ist nicht Freiheit«, »Und 1978, acht Jahre später«, »Wenn der Abend kommt«, sowie ein Interview mit Max von der Grün.



Irrlicht und Feuer, Cover Irrlicht und Feuer
Roman, (BAND II)
Herausgegeben von Günther Butkus
Mit einem Nachwort von Heinz-Ludwig Arnold
Hardcover mit Schutzumschlag
478 Seiten, Euro 22,90, 978-3-86532-121-3
Pendragon Verlag, September 2010


Leseprobe:

Die Nacht war klar und kalt. Meine Schicht begann seit Monaten um 24 Uhr. Wie ich sie hasste, diese Zeit und die Schicht.
Täglich, ob Sommer oder Winter, musste ich vier Kilometer an den Betriebsgeleisen entlang. Wie ich sie hasste, diese Zeit! Um Mitternacht drängt das Verborgene an die Oberfläche. Wer mitternachts zur Arbeit fährt, sieht die andere Seite des Lebens.
Ich hatte es eilig. Zwanzig Minuten vor 24 Uhr, ein Drittel des Wegs noch vor mir.
Da trat plötzlich eine Gestalt aus dem Schatten des Bahndammes, stellte sich vor mein Rad. Instinktiv fühlte ich meine rechte Hosentasche ab, wo ich seit jener Nacht, kurz nach dem Kriege, ein Messer trage. Als ich abgestiegen war und die Wolken die volle Scheibe des Mondes freigaben, sah ich, dass es eine Frau war.
Was machen Sie hier?, fragte ich schreckheiser.
Sie fasste meine Lenkstange und sagte: Mein Mann hat mich rausgeschmissen.
Streit gehabt?
Ach, wie man’s nimmt. Immer wenn er betrunken ist, will er mir den Hals umdrehen. Manchmal schlägt er mich, meistens laufe ich fort.
Ich muss weiter, sonst versäume ich meine Schicht, dachte ich.
Wird nicht so schlimm sein, antwortete ich, denn dergleichen Dinge waren mir aus meiner Nachbarschaft bekannt. In einer Siedlung hört man die Flöhe husten. Und dann dachte ich: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. [...]



Max von der Grün